Am 25. August 2016 fand der 11. Wattenmeertag in Wilhelmshaven statt. Thema der Veranstaltung: Die negative Bestandsentwicklung vieler Zugvögel im Wattenmeer. Dazu wird gerne die nachfolgende Grafik veröffentlicht:
Aufgrund der negativen Bestandtrends einiger Limikolenarten wird zunehmend ein verstärkter Schutz ziehenden Vogelarten im Nationalpark Wattenmeer gefordert. Auch die Jagd auf Wasservögel gerät in die Kritik der Naturschützer und wird gerne als Mitverursacher der negativen Bestandtrends an den Pranger gestellt. Aber ist dem wirklich so?
Bereits 2010 veröffentlichte das Wattenmeersekretäriat in Wilhelmshaven einen aufschlußreichen Bericht über den Einfluß von Klimaveränderungen auf den Bestand der Wat- und Wasservögel im Wattenmeer:
Laursen, K., Blew, J., Eskildsen, K., Gunther, K., Halterlein, B., Kleefstra, R., Luersen, G., Potel, P., Schrader, S. 2010. Migratory Waterbirds in the Wadden Sea 1987- 2008. Wadden Sea Ecosystem No.30. Common Wadden Sea Secretariat, Joint Monitoring Group of Migratory Birds in the Wadden Sea,Wilhelmshaven, Germany.
Hier die Zusammenfassung aus dem Bericht:
Das Wattenmeer entlang der Westküste von Dänemark, Deutschland und den Niederlanden ist das größte zusammenhangende Wattgebiet der Welt. Einschließlich des Offshore-Bereichs (bis zu einer Tiefe von 15 m ) betragt seine Größe etwa 14.700 qkm, ein Drittel davon sind Wattflächen, ungefähr 3 % sind Salzwiesen. Aufgrund des Nährstoffeintrages aus der Nordsee und den Flüssen weisen die Wattenmeerhabitate eine hohe Produktivität auf, die ganzjährig zu einem reichen Nahrungsangebot für Vögel führt.
Das Wattenmeer ist das bedeutendste Rast-, Mauser- und Überwinterungsgebiet für Wasser- und Watvogel auf dem Ostatlantischen Zugweg. Bezogen auf das 1% -Kriterium der Ramsar-Konvention ist das Wattenmeer von herausragender internationaler Bedeutung für mindestens 52 Populationen von 41 ziehenden Wat- und Wasservogelarten des ostatlantischen Zugwegs. Die Brutgebiete dieser Populationen erstrecken sich über einen großen Teil der nördlichen Hemisphäre und reichen von Kanada und Grönland im Westen über Skandinavien bis nach Sibirien im Osten. Für 44 Populationen von 34 Arten stellt das Wattenmeer einen unverzichtbaren und häufig den wichtigsten Trittstein während des Zugs und das Haupt-Überwinterungs- und Mausergebiet dar; diese Arten werden im vorliegenden Bericht behandelt.
Sowohl die Qualität und als auch die Quantität der Wasser- und Watvogeldaten haben in den letzen Jahren beträchtlich zugenommen und Datenhaltung und -auswertung wurde verbessert. Das laufende gemeinsame Monitoring-Programm ( „Joint Monitoring Program of Migratory Birds–JMMB“), welches im Rahmen des „Trilateral Monitoring and Assessment Program –TMAP“ durchgeführt wird, umfasst in 688 Zählgebieten jährlich zwei bis drei internationale Synchronzählungen sowie Springtidenzählungen, welche in ausgewählten Gebieten ca. alle 15 Tage statt finden. Insgesamt sind (nach den Zählungen/ Ergebnissen) maximal etwa 6 Millionen Vogel gleichzeitig im Wattenmeer anwesend, wobei der „Turnover“ unberücksichtigt bleibt. Betrachtet man den Zeitraum 1999/ 2000 bis 2006/2007, so setzen sich diese Zahlen aus ca. 1, 37 Millionen Enten und Gänsen, 3,46 Millionen Watvögeln und 0,89 Millionen Möwen zusammen, dazu kommen noch Kormorane und Löffler. Die meisten Arten erreichen ihre Höchstbestande während des Herbstzuges, die Zahlen der Watvogel sind aber auch im Frühjahr ähnlich hoch, Gänse und Enten dagegen kommen im Winter in hohen Bestanden vor, während Möwen auch im Sommer häufig sind.
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Während der letzten Dekade hat sich die JMMB-Gruppe darauf konzentriert, Populationstrends der Zugvogel im Wattenmeer zu berechnen, wobei in den Bestandszahlen einiger Arten erhebliche Abnahmen festgestellt wurden (Blew et al. 2005, 2007). im vorliegenden Bericht wird zusätzlich die geografische Verteilung und die Phänologie der Zugvogelarten betrachtet.
Die mittlerweile über 20 Jahre zurückreichende Datenerfassung bietet eine hervorragende Gelegenheit, Änderungen innerhalb dieses Zeitraumes in Bezug zu Veränderungen der Umwelt und des Klimas im Wattenmeer zu setzen. So konnten Analysen der geografischen Verteilung für unterschiedliche Jahreszeiten und der Phänologien getrennt für das nördliche und das südwestliche Wattenmeer durchgeführt werden.
Die Ziele dieses Berichtes sind:
- Aktualisierung der Populationstrends;
- Analyse der Änderungen in der geografischen Verteilung;
- Analyse der Änderungen in den Phanologien;
- Analyse der Populationstrends in Bezug auf klimatische Bedingungen
Die Analyse der Trends von 34 Wat- und Wasservogelarten für die 21 Jahre von 1987 bis 2008 zeigt, dass:
- 8 Arten starke oder massige Zunahmen zeigen: Kormoran, Löffler, Weiswangengans, Spießente, Sandregenpfeifer, Sanderling, Sichelstrandläufer und Pfuhlschnepfe,
- 12 Arten stabile Bestände haben: Dunkelbäuchige Ringelgans, Pfeifente, Löffelente, Kiebitzregenpfeifer, Kiebitz, Knutt, Alpenstrandlaufer, Großer Brachvogel, Rotschenkel, Grünschenkel, Steinwalzer, und Sturmmöwe,
- 14 Arten abnehmende Bestände haben: Brandente, Krickente, Stockente, Eiderente (nach 1993), Austernfischer, Säbelschnäbler, Seeregenpfeifer, Goldregenpfeifer, Kampfläufer, Regenbrachvogel, Dunkler Wasserläufer, Lachmöwe, Silbermöwe und Mantelmöwe.
Eine Aufschlüsselung der Trends zeigt, dass bei Arten, die starke Zunahmen im Wattenmeer aufweisen, auch die Flyway-Population zunimmt. Viele Arten, deren Bestande massige Zunahmen im Wattenmeer verzeichnen, überwintern im tropischen Afrika und brüten in der Arktis. Ungefähr die Hälfte der Arten, die mit stabilen Zahlen im Wattenmeer auftreten, weisen auch stabile Flyway-Bestande auf; die Brutgebiete dieser Arten liegen in der Arktis und in Europa, sie überwintern in Europa und im tropischen Afrika. Arten, deren Bestande im Wattenmeer abnehmen, gehören vor allem zu denen, die in Nord-, Zentral- und Westeuropa brüten und überwiegend auch dort überwintern. Während sich also die Bestande der arktischen Brutvögel erholt haben, scheinen die Arten mit abnehmenden Trends von Bedingungen in Nordwest-Europa beeinträchtigt zu sein, wahrscheinlich sogar von denen im Wattenmeer.
Mit Blick auf die bevorzugte Nahrung der Arten zeigt sich, dass die Bestande von Silbermöwe und Mantelmöwe, die von offenen Mülldeponien profitierten, abnehmen, ebenso wie die Bestande von muschelfressenden Arten wie Eiderente, Austernfischer und teilweise Silbermöwe. Die meisten Arten weisen eine mehr oder weniger gleichmäßige Verteilung im Wattenmeer auf, mit hohen Anzahlen in den zentralen und sudwestlichen Bereichen. Einige Arten, wie der Dunkle Wasserläufer, treten nur in wenigen Gebieten auf, andere zeigen deutliche lokale Konzentrationen wahrend eines Jahresabschnittes, wie die Brandgans, die im Elbe-Astuar mausert. Im Hinblick auf die Artenverteilung wurden die Veränderungen zwischen einer frühen Periode 1987/88 –1994/95 und einer spaten Periode 1999/00-2006/07 analysiert. Dabei wurde deutlich, dass z. B. die Bestande des Kormorans überall zunehmen, wahrend z. B. die Möwenbestande in allen vier Wattenmeer-Regionen abnehmen. Alle Gänsearten und die Brandgans nehmen in Niedersachsen zu und in Schleswig-Holstein ab, scheinen aber im dänischen und niederländischen Bereich stabile Bestande zu haben.
Ähnliche Muster wurden für Gründelenten und Watvogel gefunden: Die meisten dieser Arten weisen stabile Trends im danischen und niederländischen Wattenmeer auf, wahrend viele dieser Arten im schleswig-holsteinischen und niedersachsischen Teil abnehmende Trends aufweisen.
Dieses geografische Muster hat eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit der Gezeiten-Amplitude, welche im zentralen Bereich des Wattenmeers höher ist als in den dänischen und niederländischen Bereichen.
Für Arten, die auf den Wattflächen nach Nahrung suchen, konnten wir eine signifikante Korrelation zwischen der Höhe der Gezeiten-Amplitude in den entsprechenden Regionen (sub-areas) und der Veränderung der Bestandszahlen zwischen 1987/88-1994/95 und 1999/00-2006/07 feststellen. Im Gegensatz dazu konnte für Arten, die auf den Salzwiesen nach Nahrung suchen, keine solche signifikante Korrelation gefunden werden.
Diese Ergebnisse weisen auf Veränderungen in der Gezeiten-Dynamik im Wattenmeer hin,
welche letztendlich von klimatischen Veränderungen verursacht sein können und es wird empfohlen, dieses zukünftig eingehender zu untersuchen.
Die meisten Arten zeigen über die Jahre ziemlich konstante Phänologieverläufe, insbesondere die Ankunfts- und Abflugzeiten sind im Wattenmeer gleich bleibend. Bei genauerer Betrachtung, zeigen jedoch etliche Arten Änderungen zwischen den verglichenen Perioden 1987/88-1994/95 und 1999/00-2006/07: Anhand des mittleren Durchzugsdatums (Median) konnte für das Frühjahr einerseits bei einigen Arten ein früherer Durchzug wahrend des jüngsten Zeitraums (1999/00-2006/07) festgestellt werden (1 Art im nördlichen, 4 Arten im sudwestlichen Wattenmeer); andererseits wurde bei 12 Arten im nördlichen und 10 Arten im südwestlichen Wattenmeer ein späterer Durchzug durch das Wattenmeer registriert. Arten, welche im Frühjahr später durch das Wattenmeer ziehen, gehören sowohl zu den nordeuropäischen als auch zu den arktischen Brutvogeln. Im Herbst wurden keine deutlichen Änderungen entdeckt .
Klimatische Bedingungen beeinflussen eine ganze Anzahl biologischer Prozesse. Wir gehen davon aus, dass die Anzahl der Vögel im Wattenmeer durch die Klimabedingungen im Winter beeinflusst werden, die sich durch den Nordatlantischen Oszillationsindex (NAO) und die Wassertemperatur im April beschreiben lassen:
Die Wetterlage im Winter (NAO) wirkt sich auf das Überleben und die Verteilung der Vogel aus, die Wassertemperatur im Wattenmeer auf ihren Bruterfolg. Bei 30 der 34 untersuchten Arten sind die Trends signifikant mit einer oder beiden Variablen korreliert, Ausnahmen bilden die Arten Brandente, Rotschenkel, Steinwalzer und Sturmmöwe. Die Trends der meisten Arten sind mit der Wassertemperatur im April korreliert.
Die Arten, deren Trend positiv mit der Wassertemperatur im April korreliert ist, sind überwiegend Arten, für die auch ein positiver Trend im Wattenmeer verzeichnet wird. Umgekehrt wird die Gruppe, deren Trends negativ mit der Wassertemperatur im April korreliert sind, von Arten dominiert, die einen negativen Trend im Wattenmeer aufweisen. Obwohl der direkte Zusammenhang nicht eindeutig ist, konnten die Ergebnisse darauf hinweisen, dass die Arten, die von den wärmeren Frühlingstemperaturen und damit besseren Nahrungsbedingungen im Wattenmeer profitieren, in einer besseren Kondition in den Brutgebieten ankommen und dadurch einen höheren Bruterfolg haben.
Die Ergebnisse bestätigen einmal mehr, dass das Wattenmeer eines der bedeutendsten Rast- und Überwinterungsgebiet für viele Arten und Populationen des Ostatlantischen Zugwegs ist.
In den letzten zwei Dekaden traten Veränderungen auf, die sich auf die Bestandszahlen dieser Arten im Wattenmeer, ihre Phänologien und ihre geografische Verteilung ausgewirkt haben. Zumindest für einige Arten sind die Gründe für die Abnahme ihrer Bestände wahrscheinlich in physikalischen, ökologischen und klimatischen Bedingungen im Wattenmeer zu suchen.
Dessen ungeachtet werden Anzahl und Trends einiger Arten aber sicher auch von Bedingungen außerhalb des Wattenmeeres beeinflusst und es wird empfohlen, die Zusammenarbeit zwischen dem Internationalen Wattenmeer und den Brut- und Überwinterungsgebieten dieser Arten weiter zu intensivieren.
Das Monitoring der Zugvogel im Wattenmeer ist ein kontinuierlicher Prozess. Die Ergebnisse werden genutzt, um Statusberichte wie den vorliegenden zu fertigen, und damit wichtige und komprimierte Informationen bereit zu stellen, um sowohl die Nutzung des Wattenmeeres durch Wat- und Wasservogelarten als auch die möglichen Wirkfaktoren zu bewerten. Die aktuellsten Informationen zu den Trends der Zugvogelarten werden regelmäßig auf der Homepage des Internationalen Wattenmeersekretariats veröffentlicht.